Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Projekt 4 (DFG RA  745/2-2)

Untersuchung der Beziehungen zwischen Arbeitsbelastung, Rückstellprozessen und kardiovaskulären Gesundheitsrisiken bei Borderline-Hypertonikern und Normotonikern

Kennwort:
Projekt-Nummer:
Drittmittelgeber:
Status:

Antragsteller:
Bearbeiter:
Laufzeit:
"Recovery und Borderline-Hypertonie"
DFG: RA 745/2-2

DFG
mit Bericht abgeschlossen (ausführliche Gesamtdiskussion)
Dr. rer. nat. Renate Rau
Dipl.-Psych. Stefan Riedel
7/2001 bis 7/2002 (½ BAT IIa)

Zusammenfassung aus dem Abschlussbericht

Für männliche Normotoniker (NT) konnten in einer ersten Teilstudie sowohl positive als auch negative "carryover"-Effekte arbeitsbedingter Belastungen auf die Zeit nach der Erwerbsarbeit nachgewiesen werden (s. Bericht zu DFG RA 745/2-1). Vorausset zung war die vollständige Untersuchung eines Arbeits-Erholungszyklus. In einer zweiten Teilstudie sollte nun für Borderline-Hypertoniker (BHT) geprüft werden, ob arbeitsbedingte  "carryover"-Effekte auftreten. Vor dem Hintergrund der Krankheits modelle von Karasek (1979, job demand / control-Modell) und Siegrist (1990, Effort- Reward-Imbalance-Modell) wurde angenommen, dass BHT auf negative arbeits bedingte Belastungen mit einer stärkeren kardiovaskulären Aktivierung und einer  beeinträchtigteren Rückstellung reagieren als NT.
Es wurden 58 BHT in den gleichen Betrieben untersucht, in denen bereits die NT rekrutiert worden waren. Die Klassifikation des Blutdruckstatus (SBD > 135mmHg und/oder DBD > 90 mmHg) basierte auf den Empfehlungen der Deutschen Hoch druckliga (AWMF, 2001). Die Arbeitsplätze der BHT wurden mittels objektiver und subjektiver Methoden analysiert und bewertet. Weiterhin wurden die entlastenden und belastenden Anforderungen nach der Erwerbsarbeit ermittelt. Im Rahmen eines ambulanten 24-Stundenmonitorings wurden kontinuierlich die Herzfrequenz und die Bewegungsaktivität sowie der Blutdruck (tagsüber alle 15 min, nachts alle 60 min, erste 2 Stunden des Nachtschlafs alle 30 min) automatisch erfasst. Mit Hilfe eines Pocketcomputers wurden stündlich Settinginformationen sowie das aktuelle Erleben von Belastung, Kontrolle, Positivem Affekt und Stimmung erfragt. Die  Bewertung von Schlaf und Erholung basierte auf den Fragebögen SWEL, MQ und  FABA.
Im Ergebnis wurden Unterschiede in der psychophysiologischen Beanspruchung durch soziale Interaktionsanforderungen der Arbeit und durch extensive Arbeitszeitbelastung gefunden. Kardiovaskuläre Aktivierungsunterschiede zeigten sich dabei sowohl in nerhalb der Gruppe der BHT als auch im Vergleich der BHT mit NT. Im Einzelnen reagierten BHT (nicht aber NT) während und nach der Erwerbsarbeit mit einer höheren kardiovaskulären Aktivierung auf steigende soziale Interaktionsanforderungen (in Form von Verantwortung und Kooperation/Kommunikation). Mit steigenden sozialen Inter aktionsanforderungen reagierten BHT weiterhin mit einer gestörten kardiovaskulären Rückstellung nach Beendigung der Arbeit (höhere HF-, SBD- und DBD-Werte in der Freizeit). Letztlich bildeten sich eine zunehmende Anzahl sozialer Stressoren am Arbeitsplatz bei BHT in einer gestörten Rückstellfähigkeit während der Freizeit (hö herer DBD) und der Nacht (höherer DBD-Basiswert) sowie einer stärkeren Erholungs unfähigkeit und mehr Schlafbeschwerden ab. Betrachtet man sich als Spezialfall für soziale Interaktionsanforderungen die Arbeit in einer Leitungsposition unterscheiden sich BHT nicht von NT. Unabhängig vom Blutdruckstatus wiesen Leiter im Vergleich zu Nicht-Leitern höhere systolische Blutdruckwerte während der Arbeit auf und stellten diese in der Zeit nach der Erwerbsarbeit (vor dem Nachtschlaf) nur verzögert zurück. Dies entspricht Befunden von Karasek & Theorell (1990), Domke (1990) und Stark et al. (1998), die für die Tätigkeit in Leitungspositionen ein erhöhtes kardiovaskuläres Erkrankungsrisiko feststellten. Zusammenfassend müssen soziale Interaktionsanforde rungen für BHT als ein kardiovaskuläres Risiko gesehen werden. Der Spezialfall der sozialen Interaktionsanforderungen, die Leitungstätigkeit, scheint aber unabhängig vom Blutdruckstatus ein Risikofaktor für die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung zu sein.

Die extensive Ausdehnung der Arbeitszeit durch Überstundenarbeit war bei BHT mit einer verzögerten Rückstellung der kardiovaskulären Aktivierung in der Nacht verbun den (SBD, DBD und HF in den ersten 20 Minuten nach dem zu Bett gehen korrelierte positiv mit extensiver Arbeitszeitausdehnung). Im Gegensatz zu den BHT reagierten die NT nicht mit kardiovaskulären Veränderungen auf die Arbeitszeitausdehnung. Die bei BHT im Vergleich zu NT verzögerte kardiovaskuläre Rückstellung nach Belastun gen entspricht bisherigen Befunden aus der Laborforschung zur verzögerten Rück stellung nach mentalen Laborbelastungen bei BHT (Sung et al., 1993; Guasti et al., 1998; Seibt et al., 1998) sowie Ergebnissen der job strain-Forschung (van Egeren, 1992; Theorell et al. 1993; Pickering, 1997; Richter et al. 2000). Unabhängig vom Blutdruckstatus wurden mit zunehmender Überstundenzahl eine steigende Erholungs unfähigkeit sowie mehr Schlafbeschwerden angegeben. Eventuell ist die negativere Bewertung von Schlaf und Erholung bei extensiver Arbeitszeitausdehnung ein erster Indikator für eine spätere kardiovaskuläre Regulationsstörung. Insgesamt stellt die extensive Arbeitszeitausdehnung für BHT ein stärkeres Risiko dar als für NT, da erstere zuzüglich zur negativeren Bewertung von Schlaf und Erholung auch mit einer veränderten kardiovaskulären Rückstellung auf Überstundenarbeit reagierten. Letztlich ist aber die extensive Arbeitszeitausdehnung unabhängig vom Blutdruckstatus als Gesundheitsrisiko zu bewerten und daher im Sinne der Forderungen der ISO 10075 (1991) und  ISO 10075-2 (1994) zu vermeiden.
Letztlich unterschieden sich BHT von NT in ihrem Erleben von Kontrolle bei gegebe nem Tätigkeitsspielraum. Während sich bei BHT die Tätigkeitsspielräume nicht in der erlebten Kontrolle abbildeten, zeigte sich bei NT ein signifikanter positiver Zusammen hang zwischen den Tätigkeitsspielräumen und der aktuell während der Arbeit erlebten Kontrolle. Offensichtlich waren die BHT schlechter in der Lage, die vorhandenen Tätigkeitsspielräume aktuell als solche wahrzunehmen. Damit wäre die positive Wirkung von Tätigkeitsspielräumen (s. Johnson, 1989; Karasek & Theorell, 1990; Rau et al., 2001) in Bezug auf die Vermeidung kardiovaskulärer Erkrankungsrisiken bei BHT aufgehoben.
Die Ergebnisse beider Teilstudien stützen die Forderung nach einer Erweiterung des Belastungs - Beanspruchungskonzepts um die Erholungsprozesse, da ein solches Herangehen die Abschätzung negativer Beanspruchungsfolgen über die Arbeitszeit hinaus ermöglicht. Ziel sollte die Gestaltung von Arbeitsplätzen sein, die die umfassen de Erholung von einem Arbeitstag auf den anderen erlaubt.

Zum Seitenanfang